Das Endocannabinoid-System

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Das Endocannabinoid-System

Der menschliche Körper ist ein Wunder. Seit langer Zeit sind Wissenschaftler, Forscher und Ärzte dabei, die Zusammenhänge zu entschlüsseln und die Funktionsweisen herauszufinden. Obwohl es bereits viele Erkenntnisse gibt, die dazu beitragen, Krankheiten bekämpfen zu können und zu erkennen, warum der Körper auf bestimmte Situationen mit entsprechenden Reaktionen antwortet, gibt es noch immer viele Geheimnisse. Einen großen Schritt vorwärts ging es, als Forscher in den 1990er-Jahren das sogenannte Endocannabinoid-System entdeckten. Seitdem konnten wichtige Erkenntnisse bezüglich der Zusammenhänge von Funktionen im Körper gesammelt werden. Allerdings steht die Forschung hier auch gut dreißig Jahre später noch immer relativ am Anfang. Dennoch sind die bisherigen Erkenntnisse zu den Aufgaben des Endocannabinoid-Systems mehr als faszinierend.

Was ist das Endocannabinoid-System?

Beim Endocannabinoid-System, kurz ECS, handelt es sich um einen Teil des menschlichen Nervensystems. Oft wird auch die Bezeichnung endogenes Cannabinoid-System genutzt. Unter dem Begriff „endogen“ werden Prozesse zusammengefasst, die im Körper stattfinden, aber nicht auf äußere Einflüsse zurückzuführen sind. Das Endocannabinoid-System verfügt über Rezeptoren, die im ganzen Körper verteilt sind. Die beiden bekanntesten sind die CB1- und CB2-Rezeptoren. An diese Rezeptoren binden körpereigene Cannabinoide an, die sogenannten Endocannabinoide, die auch als natürliche Liganden bezeichnet werden. Diese Cannabinoide stellt der Körper selbst her. Wenn sie an die Rezeptoren andocken, aktivieren sie diese und rufen dadurch bestimmte Reaktionen hervor. Faszinierend daran ist, dass auch Cannabinoide, die von außen zugeführt werden, an diese Rezeptoren andocken, beispielsweise CBD und auch THC. Mittlerweile ist bekannt, dass nicht nur der menschliche Körper über dieses ECS verfügt, sondern alle Säugetiere.

Die Geschichte des Endocannabinoid-Systems

Im Jahr 1988 wurde der CB1-Rezeptor zum ersten Mal entdeckt, 1990 haben Wissenschaftler ihn isolieren können. Später wurde auch der CB2-Rezeptor entdeckt. Die Entdeckung des Endocannabinoid-Systems erfolgte im Jahr 1992 durch ein Forschungsteam des National Institute of Mental Health in den USA. Die Leitung hatten William Devane und Dr. Lumir Hanus. Sie arbeiteten mit dem israelischen Wissenschaftler Raphael Mechoulam zusammen, der in den 1960er-Jahren zusammen mit seinem Kollegen Yehiel Gaoni den psychoaktiven Wirkstoff der Cannabispflanze, THC, entdeckte. Etwa 20 Jahre später konnten die beiden Forscher im Nervensystem spezielle Rezeptoren entdecken, an die sich das THC bindet. Schon zu dem Zeitpunkt zogen sie bereits daraus die Schlussfolgerung, dass der Körper über ein körpereigenes Endocannabinoid-System verfügt. Etwa zeitgleich mit der Identifizierung des CB2-Rezeptors wurde auch das Endocannabinoid Anandamid entdeckt. Jede einzelne Entdeckung stellt einen weiteren Schritt dar bei der Erforschung dieses ganz speziellen Systems. Während die Forscher nach weiteren Endocannabinoiden suchten, entdeckten sie das Endocannabinoid-System und bestätigten so die Vermutung der beiden israelischen Forscher.

Es hat eine ganze Zeit gedauert, bis herausgefunden werden konnte, warum die Rezeptoren überhaupt existierten und was es mit den Verbindungen auf sich hat. Das Verständnis des Endocannabinoid-Systems hat in den letzten Jahren allerdings stark zugenommen. Mittlerweile ist bekannt, dass das ECS eine sehr wichtige Aufgabe hat, da es die Balance der Funktionen des Körpers aufrechterhält. Zudem gibt es Studien, die darauf hindeuten, dass ein Ungleichgewicht im ECS zu Erkrankungen führen könnte. Es gibt sehr viele Fortschritte in diesem Bereich, aber bis die genaue Funktionsweise dieses sehr komplexen Systems letztendlich gänzlich aufgeklärt werden kann, wird es noch sehr lange dauern.

Der Aufbau des Endocannabinoid-Systems

Das Endocannabinoid-System ist ein sehr ausgeklügeltes und komplexes System. Es besteht aus Rezeptoren und endogenen sowie exogenen Cannabinoiden. Dazu gehören auch Enzyme, die für den Auf- bzw. Abbau der Cannabinoide zuständig sind.

Die Rezeptoren

Die Rezeptoren befinden sich in ganz unterschiedlichen Regionen des Körpers und üben Einfluss auf verschiedene Prozesse aus. Am einfachsten ist es, sich die Zellrezeptoren als eine Reihe von Schlössern vorzustellen. Diese reagieren auf entsprechende Schlüssel, in diesem Fall handelt es sich um chemische Moleküle, die als Agonisten bezeichnet werden. Sobald sich ein passender Agonist an einen Rezeptor anbindet, wird eine Nachricht von ihm weitergeleitet und er gibt der Zelle eine bestimmte Anweisung. Die Schlüssel für die CB1- und CB2-Rezeptoren sind die Endocannabinoide beziehungsweise auch Cannabinoide.

CB1-Rezeptoren

Die CB1-Rezeptoren wurden bereits 1990 entdeckt. Sie sind hauptsächlich im Gehirn zu finden. Aber auch im Magen-Darm-Trakt, in den Nieren, in der Muskulatur und im Fettgewebe sind CB1-Rezeptoren vorhanden. Die Konzentration an CB1-Rezeptoren ist in den Hirnregionen, die für die Bewegungssteuerung (Kleinhirn, Basalganglien) und die Informationsverarbeitung (Hippocampus) zuständig sind, besonders hoch. Der natürliche Ligand dieser Rezeptoren ist das Endocannabinoid Anandamid. Die CB1-Rezeptoren haben Einfluss auf die Regulierung des Schmerzempfindens, die Verarbeitung des Gedächtnisses, die Durchblutung, die Psyche, die motorische Kontrolle und auch die Empfindung von Euphorie und Freude. Besonders wichtig sind sie für die Motivation und die Gedächtnisbildung.

CB2-Rezeptoren

Die CB2-Rezeptoren wurden drei Jahre später entdeckt, 1993. Diese Rezeptoren sind über den ganzen Körper verteilt. Sie sind zuständig für die Immunabwehr und somit hauptsächlich im Immunsystem zu finden, also beispielsweise im Magen-Darm-Trakt, in den Mandeln, der Milz und den weißen Blutkörperchen. Zwar gibt es auch im Gehirn eine gewisse Anzahl an CB2-Rezeptoren, allerdings weitaus weniger als CB1-Rezeptoren. Die Aktivierung dieser Rezeptoren erfolgt für gewöhnlich über das Endocannabinoid 2-Arachidonoglycerol (2-AG). Forscher vermuten, dass die CB2-Rezeptoren eine Reduzierung von Entzündungsprozessen und Schmerzempfinden auslösen könnten. Zudem wird durch die Aktivierung der CB2-Rezeptoren auch eine beruhigende Wirkung erreicht.

Endocannabinoide

Die Vorsilbe „endo“ sagt es bereits aus, es handelt sich dabei um die Kurzform von „endogen“, was so viel bedeutet wie „vom Organismus produziert“. In diesem Fall umfasst die Bezeichnung Organismus auch das Gewebe und die Zellen. Die Cannabinoide sind die Schlüssel, die das System über die Rezeptoren aktivieren. Unterschieden wird zwischen endogenen und exogenen Cannabinoiden.

Endogene Cannabinoide

Endogene Cannabinoide stellt der Körper selbst her. Endocannabinoide werden, im Gegensatz zu den meisten anderen Neurotransmittern, nicht in den Nervenzellen gespeichert, daher werden sie auch als kurzfristige Neurotransmitter bezeichnet. Sie werden erst hergestellt, wenn sie benötigt werden. Es gibt viele unterschiedliche Endocannabinoide im Körper, bei den meisten konnte allerdings noch nicht endgültig geklärt werden, welche Rolle sie im Körper spielen. Die endogenen Cannabinoide Anandamid und 2-Arachidonoglycerol sind die Endocannabinoide, die sich an die CB1- bzw. CB2-Rezeptoren binden und diese aktivieren.

Anandamid

Das Endocannabinoid Anandamid wurde als erstes von den Wissenschaftlern entdeckt. Der Name leitet sich vom Sanskrit-Wort „Ananda“ ab, dieses bedeutet „Glückseligkeit“. Es spielt eine wichtige Rolle bei der Regulierung von Schmerzen und des Appetits. Einen Einfluss hat Anandamid auch auf Gefühle wie beispielsweise Freude und Euphorie. Auch das Belohnungssystem wird von Anandamid beeinflusst. Anhand von Untersuchungen konnte herausgefunden werden, dass durch sportliche Betätigung die Freisetzung dieses Endocannabinoids gefördert werden kann.

2-Arachidonoglycerol

Dieses Endocannabinoid aktiviert hauptsächlich den CB2-Rezeptor und ist bei Ratten im Gehirn, der Lunge, der Leber, der Milz und den Nieren nachgewiesen worden.

Wissenschaftler gehen mittlerweile davon aus, dass Endocannabinoide für die Steuerung von wesentlichen körperlichen Funktionen zuständig sind. Es wird vermutet, dass ein niedriger Cannabinoid-Spiegel eine Ursache sein könnte für verschiedene Erkrankungen. Es ist durchaus möglich, dass ein Mangel an Cannabinoiden für schwere Erkrankungen und chronische Schmerzen verantwortlich sein könnte.

Exogene Cannabinoide

Exogene Cannabinoide können verschiedene Cannabinoide der Hanfpflanze sein, beispielsweise CBD, CBG oder auch THC. Sie werden von außen zugeführt, beispielsweise über die Nahrung, die Schleimhäute oder auch die Lungen. Nach der Einnahme bleiben die Cannabinoide für längere Zeit im Körper. Exogene Cannabinoide sollen in der Lage sein, das ECS stärker zu aktivieren als endogene Cannabinoide. Da sie länger im Körper bleiben, haben sie auch eine längere Wirkung. Exogene Cannabinoide sind eine gute Möglichkeit, einen Mangel an endogenen Cannabinoiden im Körper auszugleichen und so das Gleichgewicht des ECS wiederherzustellen.

CBD

CBD kann sich zwar an die Rezeptoren des Endocannabinoid-Systems anbinden, allerdings scheint die Funktion von CBD auf das Endocannabinoid-System eher die eines Hemmstoffs zu sein. Es hemmt das Enzym FAAH, das wiederum für den Abbau des Anandamids zuständig ist. Dadurch bleibt das Anandamid länger im Körper und reichert sich im Gehirn an. Im Gegensatz zum THC, das eine Wirkung auf den Geist hat, soll CBD eher auf der physiologischen Ebene wirken, es soll also Auswirkungen auf den Organismus haben. Bisher ist bekannt, dass CBD eine entzündungshemmende und schmerzlindernde Wirkung hat. Es soll zudem in der Lage sein, positiv auf die Behandlung von unterschiedlichen Erkrankungen zu wirken. Besonders bei Angststörungen, Epilepsie und Psychosen soll CBD hilfreich sein können. Allerdings ist die Studienlage bisher noch zu dürftig, um konkrete Aussagen bezüglich der genauen Wirkungen zu treffen.

THC

Dieses Cannabinoid kann sich an beide Rezeptoren anbinden und diese aktivieren. In Studien konnte herausgefunden werden, dass THC eine positive Wirkung bei verschiedenen Erkrankungen haben kann, allerdings wirkt es auch berauschend und kann süchtig machen.

Die Funktion des Endocannabinoid-Systems

Die Hauptfunktion des Endocannabinoid-Systems ist, die sogenannte Homöostase im Körper aufrechtzuerhalten. Unter Homöostase wird das Gleichgewicht der physiologischen Körperfunktionen verstanden, also beispielsweise Körpertemperatur und Blutdruck. Es reguliert hauptsächlich alle grundlegenden Funktionen und Muster im Körper, dazu gehören neben dem Appetit, der Erinnerung, der Immunfunktion, Entzündungen, der Neuroprotektion und Entwicklung, dem Schlaf, der Stimmung, Schmerzen und dem Stoffwechsel auch die Verdauung. In Studien konnte herausgefunden werden, dass Patienten mit Erkrankungen wie Arthritis, Parkinson oder chronischen Schmerzen für gewöhnlich erhöhte Endocannabinoid-Werte haben. Das ist die Basis für die Theorie der Forscher, dass das ECS der natürliche Weg für die Regulation der Homöostase ist.

Es hat aber noch weitere Funktionen, vor allen Dingen die Modulation von Energie, Freude und Wohlbefinden ist hier zu nennen. Ist das Neurotransmittersystem in seiner Funktionsweise gestört, können wichtige Organfunktionen dadurch beeinträchtigt werden. Vor allen Dingen sind hier die Immunfunktion und die Magen-Darm-Funktion zu nennen.

Das ECS ist an unterschiedlichen Körperfunktionen beteiligt. Es hat aber auch einen Einfluss auf die Aktivierung von unterschiedlichen Neurotransmittern, beispielsweise GABA, Dopamin und Glutamat. Bisher konnten die genauen Funktionen und Mechanismen aber noch nicht geklärt werden. Allerdings fanden Forscher bereits heraus, dass ein Eingriff in das Endocannabinoid-System zu ganz unterschiedlichen Auswirkungen führen kann. Wird beispielsweise der CB1-Rezeptor durch ein Arzneimittel blockiert, kann dies starke Angststörungen zur Folge haben. Es gab beispielsweise ein Medikament, das den CB1-Rezeptor gezielt blockiert, um wiederum den Appetit zu blockieren. Das Ziel ist eine Gewichtsabnahme. Allerdings hatte dieses Medikament so starke Nebenwirkungen, dass es vom Markt genommen wurde. Das zeigt, wie wichtig es ist, dass das Endocannabinoid-System im Gleichgewicht ist. Das ECS spielt auch eine große Rolle, wenn es um Angststörungen geht. Es hat ebenfalls einen Einfluss auf die Temperatursteuerung, Schmerzen, Schlafinduktion und die Steuerung des Appetits.

Mittlerweile vermuten Forscher, dass verschiedene Ausprägungen von CB1-Rezeptoren die Anfälligkeit für psychische Störungen oder auch Suchterkrankungen erhöhen könnten. Weiterhin spielt das ECS auch eine wichtige Rolle beim Zugriff auf das Arbeits- und Kurzzeitgedächtnis, also bei der Verarbeitung von aktuellen Informationen.

Das Endocannabinoid-System – wichtig für den Körper

Selbst wenn die Entdeckung des Endocannabinoid-Systems bereits vor fast 30 Jahren erfolgte, ist dieses System noch lange nicht komplett erforscht. Es gibt noch so viele Dinge, die Forscher bisher nicht herausfinden konnten. Viele Studien wurden bereits durchgeführt, die zu etlichen wichtigen Erkenntnissen geführt haben. Aus diesen Erkenntnissen wurden wiederum weitere Vermutungen angestellt und Theorien aufgestellt. Dennoch ist es auch nach dieser relativ langen Zeit so, dass die Wissenschaft noch immer am Anfang steht. Das Endocannabinoid-System ist dermaßen komplex, dass es sicher noch einige weitere Jahrzehnte dauern wird, bis letztendlich alle Geheimnisse des ECS gelüftet werden können. Vielleicht wird es auch nie möglich sein, alles herauszufinden und es gibt immer wieder neue Erkenntnisse, weil das ECS die Forscher immer wieder überrascht. Fest steht auf jeden Fall, dass es wichtig ist, das Endocannabinoid-System im Gleichgewicht zu halten und dass es bei einem Mangel an körpereigenen Cannabinoiden zu einem Ungleichgewicht kommt, das zu Erkrankungen führen kann. Forscher vermuten, dass dieser Mangel auch durch exogene Cannabinoide wie CBD ausgeglichen werden könnte. Es bleibt abzuwarten, welche Erkenntnisse noch zum Thema Endocannabinoid-System ans Licht kommen werden.